Feines Gespür für die perfekte Inszenierung
Lisa Smirnova belegt in Spay beeindruckend pianistische Virtuosität
Spay. Ihr pianistisches Credo teilt sie mit ihrem großen
Vorbild Friedrich Gulda – ein Credo, das ebenso einfach klingt, wie es
schwierig umzusetzen ist: „Spiele jeden Ton so, als ob es um dein Leben
ginge.“ Lisa Smirnova, in Moskau geboren, in Wien lebend, weicht auch
bei ihrem Mittelrhein-Musik-Festival-Konzert in der Alten Kirche in Spay
nicht davon ab. Sie lässt keinen Zweifel an ihrem immer strebenden
Bemühen.
Dass Smirnova ehrgeizig und zielstrebig ist, zeigt ein kleiner Blick in
die Vita: Mit 19 Jahren kehrte sie ihrer Heimat den Rücken und empfing
im Westen die ersten entscheidenden Impulse durch Karl-Heinz Kämmerling
in Salzburg, mit 20 debütierte sie in der Carnegie Hall und ist seitdem
in fast allen großen Konzertsälen spielte. Für die Alte Kirche in Spay
setzte sie zwei Händel-Suiten für Klavier. Vor zwei Jahren spielte sie
alle für die ECM New Series ein.
Zwei von acht Werken also, über die der Händel-Biograf John Mainwaring
schrieb, nur die wenigsten Interpreten könnten ihnen gerecht werden.
Lisa Smirnova gehört sicherlich dazu. Sie ist eine Pianistin, die gleich
in der fünften Suite, der in E-Dur HWV 430, deutlich macht, dass sie
sich durch keine noch so reiche Figuration aus der Bahn werfen oder von
ihrer klaren Linie abbringen lässt. Diese Linie lässt wirklich jedem Ton
Gerechtigkeit widerfahren, auch in den schnellsten
Zweiunddreißigstel-Läufen, in den Sechzehntel-Triolen des Air und seiner
fünf Variationen. Gleichzeitig macht Smirnova keinen Hehl daraus, dass
sie besonders die pianistische Anforderungen nochmals bündelnden
Schlusssätze der Händel'schen Suiten liebt, etwa die der im wogenden
Arpeggien-Rauschen förmlich badenden Passacaille der siebten Suite in
g-Moll HWV 432. Da ist eine Frau am Werk, die stets Herrin der Situation
bleibt, allen noch so hohen Hindernissen zum Trotz, die alles perfekt
inszeniert, vom behutsamen Beginn bis zum fulminanten Finale.
Das demonstriert Lisa Smirnova erst recht in Beethovens Sonate cis-Moll
op 27 Nr. 2, von Ludwig Rellstab wenig glücklich als „Mondscheinsonate“
etikettiert. Das einleitende Adagio wird auch in der Basslinie
tatsächlich – der Satzanweisung entsprechend – „delicatissimamente“
gespielt, das knappe Scherzo als pure Poesie, bevor Schmerz und
Leidenschaft im Presto agitato mit aller Wucht losbrechen.
Das Programmatische, der Beethoven'schen Sonate eher vergewaltigend
aufgestülpt, trieb Maurice Ravel zu seinen „Miroirs“. Diese fünf
Tongemälde sollen und wollen bilderreich genau das darstellen, von dem
im Titel die Rede ist, sie sollen eben wie Spiegel wirken. Das gelingt
beispielsweise nach dem sanft flatternden Flug der „Noctuelles“, der
Nachtfalter, oder in dem von einem kleinen Amselmotiv ausgehenden,
harmonisch höchst anspruchsvollen Gesang der „Oiseaux tristes“. Oder der
Zuhörer fühlt sich an das Schwanken eines Schiffes auf den Meereswogen
erinnert, in denen selbst der einzelne, in Arpeggien herabrieselnde
Wassertropfen spürbar bleibt. Diesem Fließen kontrastiert in der
spanisch eingefärbten „Alborada del gracioso“, dem „Morgenständchen des
Narren“, ein aberwitziges, vertracktes Hüpfen und Springen. Das ist für
Lisa Smirnova ein gefundenes Fressen, um ihre pianistische Virtuosität
zu demonstrieren.
Vielen Dank der Rz für die Nutzung des Berichtes und der
Mitarbeiterin Lieselotte Sauer-Kaulbach