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Foto: Carl-Bernhard von Heusinger |
Mundharmonika-Spieler lassen aufhorchen
Konzert Finnisches Quartett Sväng stellt Instrument auf ausgesprochen frische Weise vor
Autor: Andreas Pecht
Namedy. Es gab eine Zeit, da hatte jeder 20. Wanderer ein
Quetschkommödchen, jeder zehnte eine Klampfe umgehängt und gefühlt jeder
dritte eine Schnuffelrutsch in der Tasche. So die Erinnerung der
Älteren an die Leitinstrumente Akkordeon, Gitarre und Mundharmonika beim
fidelen Volksmusizieren vor gut einem halben Jahrhundert.
Alles andere als ein instrumentales Fossil
Während die Gitarre zur Königin aller seither handgemachten neuen
Popmusik aufstieg, müssen die beiden anderen Instrumente sich mit
zusehends randständigem Dasein bescheiden. Immerhin sind Blues, Country
sowie ein paar Liedermacher der Mundharmonika treu geblieben. Und
Charles Bronson verhalf ihr im Western „Spiel mir das Lied vom Tod” noch
mal zu Starstatus; aber auch das liegt schon 45 Jahre zurück. Ist also
die in den 1820ern erfundene Mundharmonika – mit der Wandervogelzeit ab
1900 das meistverkaufte Instrument überhaupt – heute bloßes Fossil?
Nicht, wenn es nach vier jüngeren finnischen Musikanten geht.
Die gaben jetzt beim Mittelrhein Musik Festival als
Mundharmonika-Quartett Sväng ein Spaß und Staunen machendes Konzert vor
kleinem Auditorium an lauschigem Platz: Ein reizendes Gärtchen hinter
den Nebengebäuden von Burg Namedy erlebte sein Debüt als
Open-Air-Spielort.
Instrumentarium und Spieltechnik der vier sind per se ein Faszinosum.
Die Bass-Harmonika sieht einem Toaster ähnlich und klingt bei versiertem
Stoßspiel nach gezupftem Kontrabass. Eine vor allem für Begleitakkordik
genutzte Harmonetta schaut aus wie eine Montage aus Mundharmonika und
Notebook-Tastatur. Und die beiden Melodiespieler bringen je ein ganzes
Köfferchen chromatischer wie diatonischer Mundharmonikas mit. Wobei der
Begriff Melodiespieler irreführend ist, weil ein Könner via kombinierter
Blas-, Saug-, Rutsch-, Zungenschlag-Technik bei Bedarf in einem
einzigen Instrument Bass, Harmonie, Rhythmus und Melodie vereinen kann.
Was die Absolventen und heute teils Lehrer der Sibelius-Akademie
Helsinki mehrfach ebenso virtuos wie gut gelaunt demonstrieren.
Stilistisch kennt Sväng keine Grenzen
Das überwiegend mit Eigenkompositionen bestückte Programm ist eine Reise
durch verschiedene Kulturkreise. Unterwegs sammeln die sich ihrer
Wurzeln im nordischen Grenzland zwischen West und Ost bewussten
Reisenden musikalische Momente von hier und dort auf. Die Erdigkeit
finnischer Volksballaden trifft auf den Schwermut der russischen
Nachbarn. Doch wo die Balalaika durch die Mundharmonika ersetzt wird,
offenbart sich rasch, dass im Hintergrund beider Moll-Atmosphären oft
unbändige Lust auf ausgelassenes Tanzen lauert. Die bricht sich Bahn
auch in der Vorliebe von Sväng für Volks- und Gypsy-Musik vom Balkan, in
der Elemente aus dem Jazz oder der jiddischen Klezmer-Musik
aufscheinen. Verwandtschaften zwischen finnischem, irischem, rumänischem
Folk lassen aufhorchen und die Beine zucken. Einmal beschreitet die
fast sinfonisch durchgestaltete Suite „Impivaara” den Weg der
klassisch-elegischen Weite von Jean Sibelius. Dann wieder reicht ein
Bogen von den melancholischen Tiefen des Blues über
Squaredance-Launigkeit und groovenden Gospel bis zum schweißtreibend
ausgelassenen Ragtime. Und das alles auf dem Blas-Saug-Instrumentarium
der Mundharmonika-Familie.
Deren Möglichkeiten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten wohl zu
Unrecht gering geschätzt: Diesen Schluss legt ein zeitgenössisches
Virtuosenquartett aus Finnland an einem lauen Sommerabend in einem
kleinen Gärtchen neben einer rheinischen Wasserburg aus dem 14.
Jahrhundert nahe.