Montag, 21. Juli 2014

Beirchterstattung der RZ / Neuwied zu SVÄNG


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Foto: Carl-Bernhard von Heusinger
Mundharmonika-Spieler lassen aufhorchen
Konzert Finnisches Quartett Sväng stellt Instrument auf ausgesprochen frische Weise vor
Autor: Andreas Pecht
Namedy. Es gab eine Zeit, da hatte jeder 20. Wanderer ein Quetschkommödchen, jeder zehnte eine Klampfe umgehängt und gefühlt jeder dritte eine Schnuffelrutsch in der Tasche. So die Erinnerung der Älteren an die Leitinstrumente Akkordeon, Gitarre und Mundharmonika beim fidelen Volksmusizieren vor gut einem halben Jahrhundert. 

Alles andere als ein instrumentales Fossil
Während die Gitarre zur Königin aller seither handgemachten neuen Popmusik aufstieg, müssen die beiden anderen Instrumente sich mit zusehends randständigem Dasein bescheiden. Immerhin sind Blues, Country sowie ein paar Liedermacher der Mundharmonika treu geblieben. Und Charles Bronson verhalf ihr im Western „Spiel mir das Lied vom Tod” noch mal zu Starstatus; aber auch das liegt schon 45 Jahre zurück. Ist also die in den 1820ern erfundene Mundharmonika – mit der Wandervogelzeit ab 1900 das meistverkaufte Instrument überhaupt – heute bloßes Fossil? Nicht, wenn es nach vier jüngeren finnischen Musikanten geht.
Die gaben jetzt beim Mittelrhein Musik Festival als Mundharmonika-Quartett Sväng ein Spaß und Staunen machendes Konzert vor kleinem Auditorium an lauschigem Platz: Ein reizendes Gärtchen hinter den Nebengebäuden von Burg Namedy erlebte sein Debüt als Open-Air-Spielort.
Instrumentarium und Spieltechnik der vier sind per se ein Faszinosum. Die Bass-Harmonika sieht einem Toaster ähnlich und klingt bei versiertem Stoßspiel nach gezupftem Kontrabass. Eine vor allem für Begleitakkordik genutzte Harmonetta schaut aus wie eine Montage aus Mundharmonika und Notebook-Tastatur. Und die beiden Melodiespieler bringen je ein ganzes Köfferchen chromatischer wie diatonischer Mundharmonikas mit. Wobei der Begriff Melodiespieler irreführend ist, weil ein Könner via kombinierter Blas-, Saug-, Rutsch-, Zungenschlag-Technik bei Bedarf in einem einzigen Instrument Bass, Harmonie, Rhythmus und Melodie vereinen kann. Was die Absolventen und heute teils Lehrer der Sibelius-Akademie Helsinki mehrfach ebenso virtuos wie gut gelaunt demonstrieren. 

Stilistisch kennt Sväng keine Grenzen
Das überwiegend mit Eigenkompositionen bestückte Programm ist eine Reise durch verschiedene Kulturkreise. Unterwegs sammeln die sich ihrer Wurzeln im nordischen Grenzland zwischen West und Ost bewussten Reisenden musikalische Momente von hier und dort auf. Die Erdigkeit finnischer Volksballaden trifft auf den Schwermut der russischen Nachbarn. Doch wo die Balalaika durch die Mundharmonika ersetzt wird, offenbart sich rasch, dass im Hintergrund beider Moll-Atmosphären oft unbändige Lust auf ausgelassenes Tanzen lauert. Die bricht sich Bahn auch in der Vorliebe von Sväng für Volks- und Gypsy-Musik vom Balkan, in der Elemente aus dem Jazz oder der jiddischen Klezmer-Musik aufscheinen. Verwandtschaften zwischen finnischem, irischem, rumänischem Folk lassen aufhorchen und die Beine zucken. Einmal beschreitet die fast sinfonisch durchgestaltete Suite „Impivaara” den Weg der klassisch-elegischen Weite von Jean Sibelius. Dann wieder reicht ein Bogen von den melancholischen Tiefen des Blues über Squaredance-Launigkeit und groovenden Gospel bis zum schweißtreibend ausgelassenen Ragtime. Und das alles auf dem Blas-Saug-Instrumentarium der Mundharmonika-Familie.
Deren Möglichkeiten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten wohl zu Unrecht gering geschätzt: Diesen Schluss legt ein zeitgenössisches Virtuosenquartett aus Finnland an einem lauen Sommerabend in einem kleinen Gärtchen neben einer rheinischen Wasserburg aus dem 14. Jahrhundert nahe.
RZ Linz, Neuwied vom Montag, 21. Juli 2014,