Dienstag, 3. August 2010

Bericht Rhein-Zeitung Gesamtkultur, Liederabend Stadtfeld-Ullmann


Lieder aus zwei Epochen des Umbruchs
Konzerte am Fluss: Romantisches beim Mittelrhein Musik Festival, Frühbarock bei Rheinvokal
M Von unserem Autor
Andreas Pecht

Mittelrhein. Aus dem reichen Kulturangebot in der Region auch während der Sommerferien seien zwei hochrangig besetzte Klassikkonzerte vom zurückliegenden Wochenende herausgepickt. Das Besondere daran: Auf den ersten Blick verbindet sie kaum etwas, auf den zweiten korrespondieren sie in eigentümlicher Weise miteinander. Das Mittelrhein Musik Festival bot auf der rechten Rheinseite Lieder von Robert Schumann aus dem 19. Jahrhundert, das Festival Rheinvokal am anderen Ufer Gesänge aus dem 17. Jahrhundert.
Die Schumann-Lieder sind im 200. Geburtsjahr des Komponisten in der Pilgerhalle Kamp-Bornhofen dem Tenor Marcus Ullmann und dem Pianisten Martin Stadtfeld anvertraut. Um die noch zwei Jahrhunderte ältere Musik – von acht verschiedenen Komponisten – machen sich in St. Severus in Boppard der Countertenor Dominique Visse und die international zusammengesetzte Capella della Torre verdient.
Rechtsrheinisch, auf der Loreley-Seite, Schumanns Vertonungen von Versen Eichendorffs und Heinrich Heines – also hochromantische Emotionalität für Singstimme und Klavier. Linksrheinisch dagegen vor allem Sakrales, musizierte Gebete um Erlösung und zum Lobe Gottes von Praetorius, Monteverdi oder Heinrich Schütz. Frühbarock also, konzertiert von sieben Spezialisten auf originalen Instrumenten jener Epoche und einem Sänger im zeittypisch kopfstimmigen Altus.

Tiefen von Wort und Musik
Was sollte diese Konzerte verbinden, außer dass sie am Mittelrhein stattfinden, mit Solosänger plus Instrumentalbegleitung besetzt sind sowie beide gut besucht und von exquisiter Qualität? Das Verbindende findet sich in den Tiefen von Wort und Musik; im menschlichen Fühlen, das die Künste zum Ausdruck bringen: Verlust, Hoffnung auf Beruhigung und Trost, Sehnsucht nach einem Goldenen Zeitalter, und dazu die von der Gewissheit herrührende Melancholie, dass selbst dem Glück unausweichlich der Tod innewohnt.
Ullmann singt in wunderbar warmem, innigem, unverkünsteltem Tenor mit Eichendorff von Erlebnissen zwischen Stille, Wehmut und gespenstischer Begegnung im Wald; mit Heines „Dichterliebe“ dann von Hoffnung und Resignation.
Der im besten Sinne lyrische Tenor meidet die theatralische Geste, er weiß um die Gefährdung des Gefühls durch Effekthascherei. Pianostar Martin Stadtfeld, den wir hier erstmals als Liedbegleiter erleben, geht diesen Kurs einfühlsam mit, behauptet dennoch dezent den eigenständigen Charakter der Schumann’schen Klavierstimmen.
Ist die romantische Gefühligkeit ein Konterpart zur Kälte des Rationalismus und frühen Industrialismus im 19. Jahrhundert, so am anderen Rheinufer die Melancholie der frühbarocken Musik der Reflex auf einen ähnlich grundstürzenden Epochenwandel gut 200 Jahre zuvor: Reformatorische Bewegungen haben die Gewissheit über die eine einzige Mutter Kirche zertrümmert. Die Erde hat den Mittelpunkt des Universums verlassen, der Dreißigjährige Krieg durchwütet Europa. Da braucht es einen starken Glauben, um nicht vollends den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Lust auf das Leben
Die menschlichen Affekte sind im Bopparder Konzert noch zurückhaltender ausgeformt. Frühbarocke Musik bewegt sich in Strukturen schier ritueller Strenge, die auf den mit Alter Musik wenig vertrauten Zuhörer anfangs kontrastarm, beinahe eintönig wirkt. Doch die kunstvolle Realisation von Dominique Visse und Capella della Torre macht die Farbigkeit, die emotionale Bangigkeit, aber auch die unausrottbare Lust auf und am Leben hörbar, die sich in der verwickelten Vielstimmigkeit und Formtreue dieser Musik verbirgt. Zwei ebenso schöne wie interessante Konzerte.